Die Rockband aus Rom siegt in letzter Sekunde vor Frankreich und der Schweiz. Deutschland landet mit Jendrik wieder nur auf dem vorletzten Platz.
(mis) Mit dem Song «Zitti e buoni» hat die von den Buchmachern als Favorit gehandelte Band Måneskin aus Italien den Eurovision Song Contest 2021 gewonnen. Nach dem Voting der Musik-Jurys aus 39 Ländern lag die Rockband noch abgeschlagen im oberen Mittelfeld. Doch bei den Zuschauern sahnte das Quartett aus Rom, das sich gegen Gender-Konventionen einsetzt, im großen Stil ab. Im Schnitt gingen aus jedem Land acht Punkte an die Rock-Poser.
Nicht ganz fair vielleicht, denn Jendriks bunt-schräger, wenn auch überambitionierter Ukulelen-Auftritt war sicher keine völlige Peinlichkeit und hätte einen unauffälligen Mittelfeldplatz verdient gehabt. Das Mittelfinger-Kostüm aus dem Video zu «I Don’t Feel Hate» wurde ihm für die Eurovision-Bühne untersagt, so dass ein Peace-Finger neben ihm tanzte, dessen Zeigefinger aber hier und da abknickte. Auch nach Bekanntgabe des unrühmlichen Ergebnisses hüpfte Jendrik wie ein Sieger in seiner Crew-Bubble umher – man darf annehmen, dass er den Abend tatsächlich unbeschadet übersteht. Der Mann fühlt einfach keinen Hate.
Der ESC 2021 startete nach einjähriger Zwangspause natürlich unter besonderen Vorzeichen. 3.500 Zuschauer waren nach strengen Testvorkehrungen in der Halle zugelassen als Teil einer von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen Studie. Um die Zuschauer zuhause näher ans Event zu holen, wurde eine spezielle App entwickelt, mit der man vom Sofa aus per Klick für einen Teilnehmer*in den Jubel in der Halle verstärken kann. Diese Jubel-Klicks würden mit dem Hallen-Signal vor Ort gemischt und zu einem Gesamtjubel addiert, hieß es. Der auditiven Erfahrung war dieses Experiment kaum zuträglich, der Applaus brandete nach jedem Beitrag auf wie immer, man sah jubelnde Menschen in der Halle, alles wie früher? Ein Sehnsuchtsgefühl, das die Verantwortlichen wohl genau so vermitteln wollten.
Outfits am ESC 2021
Auch bei den Outfits schien die heile präpandemische ESC-Welt noch in Ordnung zu sein. Zypern legte eine freizügige Eröffnung im knappen Silberkleid hin, es folgte Albanien und man wunderte sich kurz, wie schnell die albanische Sängerin Anxhela Peristeri den Glitzerfummel der soeben aufgetretenen Elena Tsagrinou übergezogen hatte. Doch wie sich heraus stellte, hatten noch weitere Kandidatinnen diese Outfit-Idee.
Darunter natürlich Geheimfavorit Daði Freyr aus Island, dessen «10 Years» am Ende immerhin den vierten Platz errang. Die funky Electro-Disco der Band, die aufgrund von Corona vor dem Finale abgereist ist, kam mit gelungener Retro-Optik: Drei Bandmitglieder spielten halbrunde Keytars, die sich zu einem Synthiering zusammen fügten. Außerdem:
Immerhin auf Platz acht landete Litauen, die wie Jendrik ebenfalls mit Fingergesten arbeiteten, nur eben erfolgreicher. Ihre absurde Tanzchoreo in knallgelb trug zum Erfolg sicherlich bei.
Wer mit 18 Jahren schon auf dem Wacken Open Air gespielt hat, muss beim ESC nicht zwangsläufig als Rock-/Metal-Außenseiter abräumen. Diese leidige Erfahrung machte nun die finnische Band Blind Channel, die am Ende fünf Plätze hinter Italien landete. Dabei war «Dark Side» sicher der beste Linkin Park-Song, den dieser Wettbewerb je zu hören bekam.
Im direkten Vergleich zu den Zweit- und Drittplatzierten war dieser italienische Dezibelanschlag natürlich schon siegverdächtig. Frankreich schickte mit der 27-jährigen Barbara Pravi eine tolle Chansonnière aus Paris ins Rennen, die im Stile der Piafbegeisterte.
Aus dem Kanton Fribourg startete Gjon’s Tears für die Schweiz und lenkte zunächst mit aparter Oberarmwirbelei von seiner Emo-Ballade ab, offenbarte dann aber doch ein imposantes Tonleiterspringen mit seiner beeindruckenden Stimme. Bevor Italien über das Zuschauervoting ganz nach vorne schoss, standen somit zwei französischsprachige Songs an der Spitze des Wettbewerbs.
Dass die Ukraine mit einem unsäglichen Ethno-Techno-Beitrag mit Flöte und Pressgesang bis auf Platz 5 gekommen ist, spricht dagegen weniger für die künstlerische Aussagekraft des ESC. Seine Strahlkraft lässt sich indes daran ablesen, dass man sogar frühere Trip-Hop-Bands wie Hooverphonic im Teilnehmerfeld antrifft (Belgien) und US-Rapper Flo Rida, der plötzlich bei San Marino auf der Bühne stand. Und das Mutterland des Pop? Enttäuschte auf ganzer Linie. James Newman erhielt null Punkte von der Jury und null Punkte von den Zuschauern für seinen bieder angejazzten House-Pop, der aber auch nicht biederer war als das witzlose Pussycat Dolls-Imitat aus Serbien oder der extrem anspruchslose Dance-Track der Republik Moldau. Aber wann war der ESC schon jemals gerecht?
Alle Plätze des ESC-Finales 2021:
- Italien: Måneskin – «Zitti e buoni»
- Frankreich: Barbara Pravi – «Voilà»
- Schweiz: Gjon’s Tears – «Tout l’univers»
- Island: Daði og Gagnamagnið – «10 Years»
- Ukraine: Go_A – «Shum»
- Finnland: Blind Channel – «Dark Side
- Malta: Destiny – «Je me casse»
- Litauen: The Roop – «Discoteque»
- Russland: Manizha – «Russian Woman»
- Griechenland: Stefania – «Last Dance»
- Bulgarien: Victoria – «Growing Up Is Getting Old»
- Portugal: The Black Mamba – «Love Is On My Side»
- Moldau: Natalia Gordienko – «Sugar»
- Schweden: Tusse – «Voices»
- Serbien: Hurricane – «Loco Loco»
- Zypern: Elena Tsagrinou – «El Diablo»
- Israel: Eden Alene – «Set Me Free»
- Norwegen: Tix – «Fallen Angel»
- Belgien: Hooverphonic – «The Wrong Place»
- Aserbaidschan: Efendi – «Mata Hari»
- Albanien: Anxhela Peristeri – «Karma»
- San Marino: Senhit feat. Flo Rida – «Adrenalina»
- Niederlande: Jeangu Macrooy – «Birth Of A New Age»
- Spanien: Blas Cantó – «Voy a quedarme»
- Deutschland: Jendrik – «I Don’t Feel Hate»
- Großbritannien: James Newman – «Embers»