MICHAEL JACKSON: «Leaving Neverland» – Doku oder Rufmord?

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MICHAEL JACKSON:»Leaving Neverland» – Doku oder Rufmord?

 

Die reißerisch inszenierte Dokumentation «Leaving Neverland» über Missbrauchsvorwürfe gegen Michael Jackson schlägt hohe Wellen. Zu Recht?

Los Angeles (timm) – «Er war einer der nettesten, sanftesten, liebenden und fürsorglichsten Menschen, die ich kannte. Er half mir. [..] Und außerdem hat er mich sexuell missbraucht. Über sieben Jahre lang.» Schon die ersten Minuten der Michael Jackson Dokumentation «Leaving Neverland» sind bewusst reißerisch und aufmerksamkeitsheischend inszeniert. Den Worten des ersten Opfers Wade Robson folgt dramatische Musik und ein langsamer Fade-Out. Der Zuschauer soll die Worte erst einmal selbst verarbeiten.

Die ersten Jahre

In der ersten halben Stunde der Doku werden die Hintergrundgeschichten der Ankläger Wade Robson und James Safechuck mit intimen Kindheitsaufnahmen untermauert, rekonstruiert und etabliert. Auch Interviews mit den Eltern und anderen Verwandten und Bekannten machen die mutmaßlichen Opfer und ihre Geschichte nahbarer. Bewusst langsam und detailliert erzählt soll dies beim Zuschauer von Beginn an Mitleid und Empathie erzeugen.

Die Opfer waren bereits als Kinder zum King Of Pop gelangt. Robson: «Als ich das Video (zu Thriller) sah veränderte sich alles. […] Ich habe mein Zimmer mit Postern von ihm tapeziert.» Der damals Fünfjährige gewann einen Talentwettbewerb, um nur wenig später Michael Jackson zu treffen. Safechuck hingegen war als kleines Kind mit Michael in der Pepsi-Werbung zu sehen. Sie beide verbindet also eine ähnliche Geschichte.

Die beiden Jungs sind von kleinauf an Rampenlicht, Blitzgewichtgewitter und Schauspielerei gewöhnt. Jeder der gebannt an ihren Lippen hängt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass sie im Show Business groß geworden sind. Beide sind das jeweils dritte Kind in der Familie, Safechuck sogar mit zwei älteren Stiefgeschwistern, und laut ihren Eltern «ganz allein in ihrer Gegend aufgewachsen.» Auch hier provoziert die Regie bereits das Mitgefühl des Zuschauers. Die dramatisch inszenierte Bildsprache und bedeutungsschwangere Äußerungen tun ihr Übriges. Irgendwie wirkt das alles doch einen Ticken drüber.

Dass Michael Jacksons Beziehung zu Kindern nicht normal war, wissen wir bereits seit langem. Doch die Anschuldigungen in der neuen Doku sind eine ganz andere Liga. Sie zeigen eine manipulative, schleichende Entwicklung über Jahre hinweg. Ein Netz von Angst und Sorgen. Der Film zeigt laut Dan Reed, Regisseur des Films, «die Masche eines Pädophilen und wie diese zwei Familien auseinander gerissen hat.» Reed zeigt uns systematischen, genau geplanten, nach festgelegten Mustern vollzogenen sexuellen Missbrauch.

So teilten der Sieben- und der Zehnjährige mit Michael das Bett und das Sexuallleben, während die Eltern und Geschwister in einem weiter entfernten Zimmer der Neverland-Ranch residierten. Zum Teil über mehrere Jahre hinweg. Michael habe damit gedroht, sowohl er als auch die beiden Jungen würden im Gefängnis landen, wenn sie etwas erzählen würden. So logen die beiden Opfer ihre Eltern, Ehepartner und das Gericht an. Heute jedoch sprechen die beiden mutmaßlichen Opfer von Küssen, Oralsex und Masturbation, die sie mit Michael vollzogen haben sollen. Robson endet seine Ausführungen sogar mit dem Versuch des Analverkehrs im Alter von 14 Jahren.

Es kommt zu mehreren Verhandlungen

Bereits 1993 hatte der junge Jordan Chandler Vorwürfe gegen Jackson erhoben. Wade Robson gab damals zu Polizeiprotokoll, von Michael Jackson nie unsittlich berührt worden zu sein. Sogar in einem TV-Interview hatte er dies unterstrichen. In der Doku sagt Robson, er sei von Jackson massiv eingeschüchtert worden. Chandler und Jackson hatten sich dann außergerichtlich auf eine Summe von 23 Millionen US-Dollar geeinigt. Jackson gab gegenüber den Eltern von Robson und Safechuck an, dass diese Zahlung für ihn weitaus billiger gewesen sei, als ein Verfahren auf sich zu nehmen. Von den Strapazen und der Rufschädigung im Fall eines Prozesses ganz abgesehen. Und so ließen die Eltern die Jungen wieder zu Michael und die vermeintlichen Missbrauchsvorgänge gingen weiter.

Heute sind die beiden Opfer 36 und 41 Jahre alt. Sowohl Robson als auch Safechuck hatten 2005 im Alter von 22 und 27 erneut in einem anderen Fall des Kindermissbrauchs FÜR Jackson ausgesagt. Als erwachsene Menschen in vollem Beisein ihres Geistes. Irgendwie lässt einen das stutzig werden. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» wies außerdem darauf hin, dass sich Robsons Sinneswandel zeitlich mit einem Absturz in seiner Karriere vollzog. Das Michael Jackson Estate hatte ihm einen Choreografie-Job in der Michael Jackson-Show von Cirque de Soleil, «One», vorenthalten. Robson gibt als Grund dafür in der Doku an, dass es aufregend gewesen sei, den King of Pop beschützen und womöglich retten zu können. Safechuck: «Mir fällt es immer noch schwer, nicht mir selbst die Schuld zu geben«. Seinen Sinneswandel begründet er damit, dass er selbst Vater geworden sei und nun die Dinge anders sehe. Entweder handelt es sich hier tatsächlich um Manipulation der perfidesten Sorte seitens Michael Jackson oder um einen tiefgreifenden Betrug an dessen Vermächtnis.

Die Eltern der Opfer und Jacksons Nachfahren

Die Eltern der beiden Jungen waren indessen «nie besorgt.» Und das obwohl die Kinder Nacht für Nacht in Jacksons Zimmer verbrachten. «Ich dachte sie spielen, lesen, machen Kinderzeug. Michael hat Jimmy so viele tolle Bücher gekauft.» sagte Safechucks Mutter. Sei selbst seien von Jackson umgarnt worden mit Geschenken und Aufenthalten in der Neverland-Ranch. Dies ist also der Grund, warum sie vier Stunden nach dem Kennenlernen ihre Kinder bei einem 35-jährigen Mann im Zimmer schlafen ließen. Safechucks Mutter: «All diese wundervollen Erinnerungen basieren auf dem Leiden meines Sohnes. Mein Sohn musste für mich leiden, damit ich dieses Leben haben konnte. Mein Sohn ist heute versaut. Und ich bin auch versaut.«

Robson selbst schließt seine Ausführungen mit den Worten: «Ich will die Wahrheit sprechen. Genau so laut wie die Lüge gesprochen habe. Für so lange Zeit.» Der Nachlassverwalter von Jackson nennt den Film hingegen «öffentliches Lynchen.» Er und die Nachfahren von Jackson haben bereits Anklage gegen HBO, den Sender, der die Dokumentation ausgestrahlt und in Auftrag gegeben hat, erhoben. Kein Wunder – es geht um sehr viel Geld. Bereits seit Anfang des Jahres wurden die Stücke des King of Pop 31.000 mal, und das allein in US-Radiosendern, gespielt. Doch nun haben bereits Radiostationen in mehreren Ländern Michael Jackson-Songs aus ihrem Programm genommen.

Öffentliche Debatten

Heutzutage beeinflusst medialer Druck die Wahrheitsfindung und oft auch die Prozessführung enorm, so auch beim aktuellen Beispiel R. Kelly. Dass sich Medien beziehungsweise mediale Produktionen derart zum Scharfrichter aufschwingen, kann man verurteilen – zumal wenn sie so einseitig vorgehen wie «Leaving Neverland».

Andererseits ist «Leaving Neverland» zweifellos ein Produkt der Post-Weinstein-Ära und der #metoo-Debatte. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen schärft sich auch die Wahrnehmung: manches, was man früher so hingenommen hat, kommt einem heute merkwürdig vor. So eben auch Jackos Umgang mit Kindern.

Unterdessen haben die Nachlassverwalter Michael Jacksons den medialen Kampf aufgenommen und zwei Live-Konzerte des Popstars auf dessen Youtube-Channel hochgeladen. Die Konzerte im Wembley-Stadio (1988) und in Bukarest (1992) sollen sicherlich demonstrieren, dass Michael Jacksons künstlerischer Rang sich auch von den neuerlichen Anschuldigungen nicht beschädigen lässt.

Und natürlich ist «Leaving Neverland II» bereits geplant. Reed will hierfür den bereits genannten Jordan Chandler und Gavin Arvizo, eben jenes Opfer vom Gerichtsprozess 2005, vor die Kamera holen.

Der gemeine Zuschauer muss sich bei alldem die Frage stellen, ob er den Mensch Michael Jackson von der künstlerischen Leistung trennen kann. In Zeiten von Harvey Weinstein, Kevin Spacey und R. Kelly ist diese Frage mehr diskutiert und wichtiger denn je. Wer sich ein fundiertes Bild von der Causa Michael Jackson machen will, hat dazu am 6. April die Chance. Da wird die Dokumentation bzw. der doch eher als Spielfilm inszenierte Streifen auf ProSieben in voller vier-stündiger Länge ausgestrahlt

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